Die Nacht war die Hölle und genauso sehe ich auch aus. Als
ich in das Wohnzimmer komme, ist Mario schon weg. Auf dem Tisch liegt ein
Zettel:
Bin weg.
Brauchst dich erst
wieder zu melden,
wenn du weist, was du willst und WER du bist.
Mario
Jetzt habe ich ihn verloren und Ken ist auch weg. Keiner zum
Reden, aber über was sollte ich den schon reden? So etwas erzählt man nicht
einfach beiläufig. Ich stehe stundenlang vor meinem Kleiderschrank. Diesmal
habe ich beide Hälften geöffnet. Könnte ich den Berlin und Paris verbinden?
Langsam zu meinem alten Ich zurückkehren? Plötzlich klingelt mein Handy.
,, Hey Kim, was gibt’s?“ ,, Sag mal wo bleibst du? Erst sagt
uns Mario ab und du lässt uns warten.“ ,, Es tut mir leid, könnt ihr schon mal
vorgehen? Ich komme dann nach ja? Treffen wir uns um 11 im Diner?“ Sie legt
bejahend auf. Ich ziehe mir meinen schicken Faltenrock an, meine Beine bekommen
Stulpen in rot-schwarz geringelt über, darüber die schwarzen Chucks. Mein
Totenkopfshirt in Rot darf heute auch wieder aus dem Schrank. Der Totenkopf ist
mit kleinen Plastiksteinchen geformt und darüber kommt meine schwarze
Lederjacke. Na bitte geht doch, Berlin-Rocker und Pariser-Mädchen vereint,
vielleicht konnte ich doch beide Welten vereinen. Was wohl Mario dazu sagen
würde? Ich muss ihn dringend nachher anrufen und mich entschuldigen. In der
Stadt angekommen mustern die Mädels mich einschüchternd. ,, Was ist denn mit dir
passiert? Alles so dunkel.“ ,, Aber es steht ihr.“ ,, Danke, ich wollte ein
bisschen was von meiner alten Heimat mal anziehen und es mit der Neuen
kombinieren.“
,, Hast du gut hinbekommen. So solltest du dich öfters
kleiden.“ Wir verbringen den ganzen Nachmittag in der Stadt, nur kaufe ich so
gut wie gar nichts. Weil hier gibt es nicht so den Laden für „Rocker-Sachen“.
Zum Abend hin trennen wir uns und ich mache mich im halbdunkeln auf den
Heimweg. Es wird Schritt für Schritt Herbst, die Blätter verfärben sich und
fallen zur Erde. Es wird auch langsam etwas kühler, ich mache meine Lederjacke
zu.
,, Sasa? Du bist es, warte doch bitte mal.“ Ich drehe mich
um und schaue in Nate´s traurige Augen. ,, Was willst du?“ ;;Hör zu, es tut mir
Leid wegen Amber. Aber du musst verstehen, sie ist immerhin meine Schwester.“
Da erkenne ich es endlich, Nate ist genau wie ich, feige, er verrät sich und
seine Aufgabe selbst. Auch er hat etwas auf dem Herzen, das er verstecken will.
,, Nate, manchmal muss man feige sein, aber du musst auch wissen, wann man
aufhören muss sich etwas vorzuspielen.“ ,, Warte doch lauf mir nicht schon
wieder weg.“ Er hält mich am Arm fest und zieht mich wieder näher zu sich ran.
Ich schaue in seine blauen traurigen Augen. ,, Ich möchte nicht, dass du böse
auf mich bist Sasa. Du bist der erste Mensch, der mich richtig unterstützt und
mir die Meinung sagt.“ ,, Wenn du nicht willst, dass ich böse bin, dann mach
endlich das Richtige. Es ist schwer, es zu tun, damit kenne ich mich aus, aber
du musst. Sonst kannst du nicht mehr richtig glücklich werden, wenn du diesen
Balast mit dir rumschleppst.“ ,,Nach den Ferien, werde ich Madame Dupont die Beweise zeigen und dann bekommt Amber ihre gerechte Strafe. Aber bitte sei
wieder lieb mit mir ja?“ ,, Nate…“ Aber ich kann meinen Satz nicht zu Ende
sprechen, da er mich auf einmal küsst. Ich drücke ihn von mir weg. ,, Was soll
das Nate? Ich bin immer noch sauer auf dich und du kommst auf die Idee mich zu
küssen??“ ,, Ich habe dich gern und ich wünsche mir, dass du mich auch gern
hast.“ ,, Nate hör zu, ich habe dich gern, aber nicht auf die Art, wie du mich
wohl gern hast.“ ,, Du liebst jemand anderen oder?“ ,, Nein, ich liebe
niemanden verstanden? Ich werde auch niemals wieder jemanden lieben.“ Er
schaut mich verwirrt und verletzt zugleich an.Ich kann diesen Blick nicht mehr
sehen und drehe mich um und renne zur gerade kommenden Bahn und steige ein.
Ich setze mich ans Fenster und denke über Nate nach, klar auf der einen Seite
fühle ich mich geschmeichelt, dass er mich so gern hat, aber er ist einfach
nicht mein Typ. Ebenfalls, kann ich zurzeit keinen Freund gebrauchen. Auf
einmal knufft mich jemand in den Arm. ,,
Autsch, was soll das?“ ,, Wenn du mir nicht antwortest muss ich dich halt
knuffen, damit du reagierst.“ ,, Was willst du Castiel?“ ,, Naja, du siehst so
nachdenklich aus.“ Warte, er interessiert sich gerade wirklich für meine
Gefühle? Irgendetwas stimmt mit dem Kerl zurzeit echt nicht. ,, Bist du noch
sauer wegen gestern? Ich habe dich eben mit Nate gesehen…bist du jetzt mit dem
Typ zusammen?“ ,, Wenn du uns gesehen hast, hast du ja auch mitbekommen, dass ich
ihn weggedrückt habe, nein wir sind nicht zusammen, ich will mit niemandem
zusammen sein verdammt. Zu deiner ersten Frage, ja ich bin noch etwas sauer.“
,, Also bist du auch nicht mit diesem Mario zusammen? Nur noch ein bisschen?
Das ist schön.“ ,, Nein Mario ist nicht mein Freund, eigentlich mein bester
aber selbst das ist er wohl gerade nicht mehr. Sag mal, was ist eigentlich mit
dir los?“ ,, Was soll denn mit mir sein?“ ,,Naja, du bist so aufmerksam, dass
kenne ich gar nicht von dir.“ ,, Tzja, ich bin halt unergründlich. Was ist denn mit Mario? Habt ihr Streit?“ ,, Ich finde es ja ganz nett, dass du auf einmal
so aufmerksam bist, aber was da zwischen mir und Mario ist…das ist meine
Vergangenheit und das soll sie bitte auch bleiben ja?“ Er nickt. ,, Hast du
etwa ein dunkles Geheimnis, Kleine? Übrigens, deine Klamotten heute sind cool,
so kannst du ruhig öfters rumlaufen, steht dir besser als dieses
Schickimickizeug.“ Er steigt an Lysander´s Haltestelle aus und verschwindet in
der Nacht. Was ist nur mit ihm los? Im einen Moment ist er ein richtiger
Kotzbrocken und dann so lieb und aufmerksam. Ich laufe im Dunkeln heim, am Tor
angekommen, sehe ich, dass jemand auf der Treppe sitzt. Es ist Mario, ich renne
sofort zu ihm hin. ,, Du bist wieder da.“ Ich strahle ihn an, wie ein
Honigkuchenpferd. ,,Ja, aber ganz bestimmt nicht wegen dir. Meine Eltern haben
meine Karte sperren lassen, also habe ich kein Geld und Kim kann ich auch nicht
erreichen. Da ich nicht auf der Straße schlafen will, bin ich wieder
hergekommen.“ Ich schließe auf und lasse ihn zuerst eintreten. Er sieht mich an
und schaut weg, dann sieht er mich noch mal genauer an und grinst. ,, Die
Standpauke scheint ja was gebracht zu haben.“ Er lacht und nimmt mich in den
Arm. ,, Du wirst wieder meine Sasa.“ Vielleicht konnte ich wirklich wieder
diese Sasa werden, die er so sehr vermisst hatte.
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